Wie Schallenergie unser Gehirn bei seiner Entwicklung und Selbstheilung unterstützt

Als Musikmedizin bezeichnete der renommierte Psychiater Norman Doidge das Training der Hörverarbeitung vom HNO-Arzt Dr. Alfred Tomatis in seinem Buch „Wie das Gehirn heilt. Neueste Erkenntnisse aus der Neurowissenschaft“. Aus Sicht von Neurowissenschaftlern spricht man etwa bei Reizüberflutung und mangelnder innerer wie äußerer Abgrenzung auch von einer Verlärmung des Gehirns. In der Arbeit mit dem Hörverarbeitungstraining kommen Menschen zu mir, die etwa durch einen Mangel an Gehirnreizen, beispielsweise während einer Liege-Schwangerschaft, im Gehirn unterentwickelte Bereichen haben. Diese zeigen sich dann später in Sprache, Motorik, Kommunikation sowie in retardierten Bereichen der – unter anderem für die Rechenfähigkeit zuständigen – Koordination, Organisation, Rhythmus und Gleichgewicht. Ich erlebe im Verlauf der Prozesse jedoch, wie sich eine ganze Menge der versäumten Entwicklungsprozesse nachholen lassen. Das lässt sich neurowissenschaftlich erklären.

Nach neuesten neurowissenschaftlichen Erkenntnissen ist unser Gehirn nämlich neuroplastisch, das heißt unsere Hirnzellen sind ständig in der Lage, elektrisch untereinander zu kommunizieren. Sie bilden immer wieder neue Verbindungen. Professor Tomatis, nach dessen Methode ich arbeite, erwähnte dies bereits vor Jahrzehnten, konnte es mit damaligen wissenschaftlichen Möglichkeiten jedoch noch nicht beweisen. Mittlerweile weiß sich die Wissenschaft diese Quelle einer einzigartigen Fähigkeit zur Selbstheilung zunutze zu machen. Verschiedene Energieformen wie Licht, Schall, Vibrationen Elektrizität und Bewegung sorgen für einen natürlichen, nicht-invasiven Zugang zum Gehirn. Dieser geht über unsere Sinnesorgane und über unseren Körper und ruft die Selbstheilungskräfte des Gehirns wach. Beim Training der Hörverarbeitung wird die Energieform Schall durch unsere Sinne in elektrische Signale übersetzt, die das Gehirn dann verarbeitet. Auf diese Weise ist es möglich, sukzessive die Gehirnstruktur über bestimmte Muster von elektrischen Signalen zu verändern. Neue Nervenbahnen bilden sich aus und verdrahten sich miteinander und mit anderen Bereichen. Darüber hinaus werden schlafende Schaltkreise des Gehirns stimuliert und aufgeweckt.

Unsere Verbindung mit der Außenwelt geschieht über unsere Sinne und über unseren Körper. Sie leiten Informationen und Energie an das Gehirn weiter. Es findet eine ständige wechselseitige Kommunikation zwischen Gehirn und Körper bzw. Sinnesorganen statt, in der das Gehirn nicht nur den Körper über Signale beeinflusst, sondern auch der Körper Signale zum Gehirn schickt. Neuroplastiker machen sich diese Nervenbahnen zwischen Körper und Gehirn zunutze. Ist zum Beispiel das Gehirn durch einen Schlaganfall geschädigt und der Fuß gelähmt, bewirkt die Bewegung ein Aufwecken der entsprechenden motorischen Schaltkreise im Gehirn. Andersherum führt auch eine Stimulierung der entsprechenden Gehirnareale mit Schallenergie ein Aufwecken der Motorik im Fuß herbei, wie sie bei der Tomatis Methode geschieht. So konnte diese Methode bereits viele Schlaganfallpatienten erfolgreich bei ihrer Rehabilitation unterstützen. Besonders hervorzuheben ist bei Methoden, die sich die Energie von Licht, Schall, Elektrizität, Vibration oder Bewegung für die Aktivierung der Selbstheilungskräfte zunutze machen, dass diese im Gegensatz zu vielen invasiven Verfahren frei von Nebenwirkungen sind.

Ähnlich wie bei der Entwicklung einer neuen Fähigkeit des Gehirns, etwa beim Erlernen eines Instruments, dauert eine neue Verdrahtung des Gehirns mehrere Wochen bis Monate. Entsprechend verschwinden die jeweiligen Symptome nur langsam. Ist das Gehirn jedoch einmal neu verdrahtet, muss man immer weniger intervenieren. Die Ergebnisse bleiben in der Regel erhalten. Beim Hörverarbeitungstraining folgt auf eine Hörphase immer eine Ruhephase, in der das Gelernte im Alltag eingeübt und die neu verdrahteten Nervenbahnen sich in der Praxis weiter erproben und festigen können. Liegen die Probleme beispielsweise im Bereich des Rechnens und Organisierens, kann das Gehirn die neuen Verdrahtungen durch tägliche Anwendung weiter ausbauen. Da der Bereich des Rechnens eng mit dem Vestibulum, dem Gleichgewichtsorgan verbunden ist, kann diese Integration zusätzlich durch balancierende, rhythmische Bewegungen wie beim Tanzen unterstützt werden.

Zurück zur Verlärmung des Gehirns, wie Doidge es in seinem Buch zutreffend nannte. Viele Menschen, die mit Aufmerksamkeitsproblemen und hoher Sensibilität zu tun haben, kennen das Gefühl, dass zu viele Reize ankommen und man mit der Verarbeitung nicht schnell genug hinterher kommt. Das liegt aus neurowissenschaftlicher Sicht daran, dass die Neuronen nicht im Team arbeiten, also nicht geordnet und aufeinander abgestimmt in dieselben Richtungen abfeuern, sondern völlig unstrukturiert und ohne Filterung durcheinander schießen. Beim Hörtraining werden sie dazu erzogen zusammen zu arbeiten und strukturiert zu feuern. Auch die Knochenschallleitung, deren Bedeutung der französische HNO Arzt Tomatis bereits vor Jahrzehnten erkannt hat, spielt eine große Rolle dabei. Denn hören unsere Knochen zu viel, lagert sich das zusätzlich über unsere Höreindrücke der Luftschallleitung und verhindert die gewünschte Fokussierung auf eine Reizquelle. So wird zum Beispiel das Gespräch mit einem Gegenüber in geräuschvoller Umgebung nahezu unmöglich. Im Gegensatz zu der Luftschallleitung, deren vernommene Botschaften aufgrund der Anatomie des Ohrs auf einen bestimmten Radius rechts und links eingeschränkt sind, hören unsere Knochen aus allen Richtungen, in die sie zeigen. Liegt nun unsere Knochenschallleitung besonders hoch, gehen uns Geräusche im wahrsten Sinne des Sprichwortes durch Mark und Bein. Wir merken das dann an unserer mangelnden Fähigkeit uns zu konzentrieren und auch an großer Erschöpfung nach Besuchen von geräuschreichen Umgebungen, wie zum Beispiel nach der Schule.

Die gute Nachricht ist, dass durch ein gezieltes Hörverarbeitungstraining die Knochenschallleitung wieder in einen normalen Bereich abgesenkt wird. Genauso erfreulich ist die jüngste neurowissenschaftliche Erkenntnis über die Plastizität des Gehirns. Durch regelmäßige Übung sind langanhaltende Veränderungen im Gehirn und in seinen vielfältigen Funktionsbereichen möglich! So üben die Nervenbahnen durch das Training mit Schallenergie, wie es bei Tomatis geschieht, ein rhythmisch und geordnetes aufeinander abgestimmtes Abfeuern der Neuronen. Dadurch bilden sich auf Dauer neue, strukturierte und stabile Nervenbahnen. Das Gehirn verdrahtet sich sozusagen neu. Und die Auswirkungen merken wir dann im Alltag.

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© Birthe Ahrens

Bildquelle: © TDSA

Literatur: Doidge, Norman: Wie das Gehirn heilt. Neueste Erkenntnisse aus der Neurowissenschaft. 2015. Frankfurt am Main. Campus Verlag.